Das Schiller-Theater an der „Kö” – ein Etikettenschwindel? Die Bochumer Bühne als unmoralische Anstalt? Das Stück, das Hausherr Matthias Hartmann Ende Januar 2001 unter dem Titel „Der Parasit” reichlich boulevardesk mit Superstar Michael Maertens in Szene gesetzt hat, stammt tatsächlich von Friedrich Schiller, auch wenn man in einschlägigen Schauspielführern vergeblich danach fahndet.
„Ich habe seit Endigung der Braut zu meiner Erholung und um der theatralischen Novität willen ein paar französische Lustspiele zu übersetzen angefangen, die in einigen Wochen fertig sein werden” schrieb der Weimaraner am 28. März 1803 an Körner. Vorausgegangen war der Wunsch des Herzogs, einige französische Dramen für das Hoftheater durchzusehen. Schiller übersetzte und inszenierte im gleichen Jahr sogar zwei Dramen von Louis-Benoit Picard, darunter auch „Mediocre et rampant ou le moyen de parvenir”.
Schiller hat den „Parasit” sehr frei in Prosa übertragen und dabei erhebliche Striche und Ergänzungen vorgenommen, so sein bekanntes Lied „An der Quelle saß der Knabe” im vierten Akt eingefügt. Insofern gilt es als sein originäres Werk, das jetzt als furiose Mobbing-Komödie im Gewand der Sechziger Jahre sicherlich den ohnehin schon famosen Bochumer Zuschauerschnitt weiter heben wird.
Was keineswegs allein Michael Maertens in der Titelrolle des cleveren Taugenichts Selicour zu danken ist, der nur von den Früchten anderer Leute Arbeit lebt, bis ihn eine Gegenintrige entlarvt. Matthias Hartmann spielt die Stärken seines Ensembles aus und besetzt jede Rolle glänzend. Daß er seinen Stars die lange Leine läßt und diese dem Affen reichlich Zucker geben, kann nur kritisieren, wer zum Lachen in den Keller hinabsteigt. „Der Parasit”, und sei er auch von Friedrich Schiller, ist nichts weiter als tolles Rollenfutter für virtuose Mimen.
Petra Korinks Bühne ist eine Baustelle: Narbonne, der Minister, der in Felix Vörtlers Outfit wie der junge Helmut Kohl in den 60er Jahren aussieht, hat gerade erst die Räumlichkeiten seines geschaßten Vorgängers übernommen, überall sind noch die Spuren der Handwerker zu sehen. Ein neuer Anstrich muß her, aber auch ein neues Amtsverständnis: Mit der Korruption soll endlich Schluß gemacht werden.
Aber noch spinnt der raffinierte Taugenichts Selicour (Michael Maertens ganz in seinem Element) die Fäden, entläßt den aufmüpfigen La Roche (Thomas Büchel weiß sich allein im Bunde mit dem Publikum) und läßt sowohl den bescheidenen Firmin (Ralf Dittrich als freiwillig Subalterner schlechthin) als auch dessen Sohn Karl (Manuel Bürgin als poetisierender Stürmer und Dränger) für sich arbeiten. Um sich ins rechte Licht beim neuen Dienstherren, aber auch bei dessen Mutter (liebestolle Grand Dame: Veronika Bayer) und seinem Töchterchen (eher schrilles Girlie von heute: Lena Schwarz) zu rücken. Bis La Roche zum großen Gegenschlag bläst, der am variantenreichen Ende gleich für mehrere und dabei ganz aktuelle Überraschungen sorgt. Als hätte Narbonnes Umzug jüngst von Bonn nach Berlin stattgefunden...
Michael Maertens, virtuos in Mimik und Gestik, aber auch ein schamloser Selbstzitierer, scheint das Stück von 1803 geradezu auf den Leib geschrieben zu sein. Nur gut, daß ihm der ebenbürtige Vollblut-Komödiant Felix Vörtler die Bretter nicht allein überläßt. Der einstige Star des Oberhausener Theaters, der schon bereut haben mag, in Bochum nur die „zweite Geige” spielen zu dürfen, kann endlich seine Stärken offenbaren.
Pitt Herrmann
Friedrich Schiller
Der Parasit
Schauspielhaus Bochum