Maria Stuart_ Friedrich Schiller_ Heike M. Götze
Der Thron von England ist durch einen Bastard
Entweiht, der Briten edelherzig Volk
Durch eine list`ge Gauklerin betrogen.
Regierte Recht, so läget Ihr vor mir
Im Staube jetzt, denn ich bin Euer König.
Maria zu Elisabeth in: "Maria Stuart" (III,4) von Friedrich Schiller
England im ausgehenden 16. Jahrhundert. Seit beinahe zwanzig Jahren sitzt Maria Stuart, die sich als legitime Königin des ganzen Landes sieht, im Gefängnis. Sie hat nach der Ermordung ihres Mannes einen der Verschwörer zu sich auf den schottischen Thron geholt und ist daraufhin vom Adel des Landes vertrieben worden. Maria ist zu ihrer Halbschwester Elisabeth geflüchtet, doch nicht nur um Schutz zu suchen. Sondern um das ganze Britannien im Zeichen des römischen Katholizismus unter ihrer Herrschaft zu vereinen.
Elisabeth, die jungfräuliche Königin, die ihre Weiblichkeit dem höchsten Amt der Monarchie geopfert hat, denkt gar nicht daran, ihre Macht aufs Spiel zu setzen. Und schon gar nicht für die verhassten, vom kontinentalen Europa jenseits des Kanals unterstützten Papisten. Als Marias Verschwörung offenbar wird, sieht sich Elisabeth gedrängt, das Todesurteil endlich zu unterzeichnen. Doch sie befürchtet einen blutigen Bürgerkrieg - und wird selbst beinahe Opfer intriganter Machenschaften in ihrem unmittelbaren Umfeld...
Brust raus - Schiller aus der Femen-Perspektive: Heike M. Götze, die zuletzt in Bochum "Gift. Eine Ehegeschichte" mit Bettina Engelhardt und Dietmar Bär inszenierte, hat für ihre Neueinstudierung von Friedrich Schillers "Maria Stuart" in den Kammerspielen Euro-Paletten aus Plastik aufeinander gestapelt. Mitten drin und erst auf den zweiten Blick erkennbar die Königskrone, ein scharf gezacktes, schmucklos-graues Ding: Kein Zeichen der Nobilitierung, sondern der Bürde des Amtes.
Dennoch streiten die zunächst noch in bunt gemusterten Bademänteln gekleideten Protagonistinnen, kleine Anspielung an die Blumenkränze der Femen-Aktivistinnen, um das vermeintliche Objekt der Begierde. Dann geht's gut zwei Stunden lang mit entblößten Oberkörpern zu Sache - keine geringe Herausforderung für die beiden Mittvierzigerinnen Johanna Eiworth (Maria) und Bettina Engelhardt (Elisabeth) unter dem Motto: Sie küssten und sie schlugen sich.
Nachdem sich Maria zu harten Live-Rhythmen Fabian Kalkers eingetanzt hat, was für so manche Berliner Clubnacht reichen könnte, setzt sie sich die Krone auf und Elisabeth kniet unterwürfig zu ihren Füßen, kriecht ihr auf allen Vieren nach. Eine Geste der Unterwürfigkeit? Ein Angebot der Versöhnung? Eher eine Phantasmagorie im Trance-Zustand.
"Man kann uns niedrig behandeln, nicht erniedrigen. Ich habe in England mich an viel gewöhnen müssen, ich kann auch das verschmerzen": Elisabeth spricht mit den Lippen Marias Text, vom Schillerschen Versmaß befreit und umgangssprachlich geglättet, synchron mit als sei es ihr eigener. Was sich am Ende mit umgekehrtem Vorzeichen wiederholt: in ihrer Funktion - und ihrer ausgestellten Weiblichkeit - sind beide Machtpolitikerinnen bei Heike M. Götze austauschbar. Nicht aber in ihren Mitteln.
"So nah find' ich einen Freund": Mortimer, der mit Shrewsbury wie Monde die beiden Sonnen umkreist, dabei aber stets den eigenen Vorteil im Blick hat, schleckt Marias nackten Oberkörper ab, als er sich ihr als Vertrauter offenbart. Und so körperbetont geht's weiter - etwa zwischen Leicester und Elisabeth, als dieser ihr ein persönliches Treffen mit ihrer Gefangenen schmackhaft zu machen versucht. Die Königin lässt an ihm ihre Wut über Marias Erfolge bei Männern aus, was naturgemäß wie so vieles andere nicht in Schillers Buche steht, aber durchaus Sinn macht, gehört Leicester doch zu Marias Eroberungen.
Nach einer erneut einleitenden Aufwärmphase kommt es zur - von Schiller frei erfundenen - Begegnung der Rivalinnen: Maria liegt rücklings vor einer souveränen, sich ganz cool gebenden Elisabeth, die freilich ihr Haar fransenartig wie einen Schleier vor die Stirn gezogen hat, um ihre Gemütsregungen zu verbergen. Nach dem wiederholten Bastard-Vorwurf schließt Elisabeth Marias Mund mit einem langen Kuss: für einen Moment scheint ein Waffenstillstand möglich zwischen zwei Frauen, die ihre Lebensspuren nicht verleugnen können. Doch der Schein trügt: "Ich bin Euer König!" Mit Marias selbstgewissem Machtanspruch rasselt der "Eiserne" mitten im dritten Akt zur Pause herunter.
"Frei müsst Ihr sein, noch ehe der Morgen tagt": Mortimer trägt Maria auf seinen starken Schultern über den Paletten-Berg. Er will sie allerdings nicht nur retten, sondern auch besitzen, was Letztere weit von sich weist - und ihm mit Nachdruck gleich mehrfach "Denn ich bin Euer König" entgegenschleudert. "Ich habe alles Zeitliche berichtigt (...), ich stehe an dem Rand der Ewigkeit": Maria und Elisabeth sprechen gemeinsam in ein vom Schnürboden herab hängendes Mikrophon, werden wie bei einer Erwachsenen-Taufe mit Wasser übergossen und nehmen vom zum Priester gewandelten Haushofmeister Melvil ihr letztes Abendmahl entgegen: "Ich bin bereit, zur Ewigkeit zu gehen."
Am Ende siegen auch bei Schiller die Männer, indem sie Elisabeth im Stich lassen mit dem Vorwurf, Maria zu Unrecht hingerichtet zu haben. Bei Heike M. Götze, die das sechsköpfige Männer-Ensemble André Benndorff, Matthias Eberle, Thomas Mehlhorn, Henrik Schubert, Pirmin Sedlmeir und Martin Weigel zwar in unterschiedlich farbige Kostüme gesteckt hat, sonst aber chorisch-entindivualisiert sprechen und agieren lässt, hat Burleigh, der Strippenzieher im Hintergrund, nicht nur voreilig das Todesurteil vollstreckt, sondern - Tim Fabian Hoffmann in seiner ganzen jugendlichen Männlichkeit - er erschlägt gleich beide Königinnen und setzt sich danach selbst die Krone auf.
"Maria Stuart", am 14. Juni 1800 in Weimar mit großem Erfolg uraufgeführt, war am Schauspielhaus Bochum zuletzt 2008 in einer minimalistisch-strengen Inszenierung Elmar Goerdens zu sehen als Polit-Thriller über Macht, Politik und Korruption unter dem Motto: Der Zweck heiligt noch jedes Mittel. Nach vier beiderseits der Rampe erschöpfenden vier Stunden wahre Ovationen für die grandiose Ulli Maier in der Titelrolle und eine erstaunlich sinnliche Imogen Kogge.
Zuvor gastierte Andrea Breths dreieinhalbstündige Burgtheater-Produktion mit Corinna Kirchhof und Elisabeth Orth im Rahmen der Ruhrtriennale im Revier: Ein verbissen geführter Kampf zweier Löwinnen um die Regentschaft als großartige Schauspielkunst in klassischem Versmaß. Im letzten Jahr hat Anna Bergmann im Essener Grillo-Theater bewiesen, dass es auch binnen zweier Stunden geht mit ihrer Inszenierung aus der Perspektive Elisabeths, die sich endlich von ihrem Alptraum Maria befreien will.
Schließlich eine dezidiert feministische Sicht auf den historischen Stoff, der bis in unsere Brexit-Zeit nachwirkt in dem Bestreben des katholischen Schottland, weiterhin der Europäischen Union anzugehören: Sibylle Broll-Pape hat 1998 am Prinz-Regent-Theater Bochum die Deutsche Erstaufführung von Dacia Maranis "Maria Stuart" inszeniert. Was bleibt da noch für Heike M. Götze? Schiller aus der Femen-Perspektive, Premiere war am 23. September 2017 in den Kammerspielen. Immerhin: Auch die dritte Produktion der Interimsspielzeit Olaf Kröcks hat sich das Prädikat "Spektakulär" verdient. Und Johanna Eiworth und Bettina Engelhardt in einem zur Hälfte aus ehemaligen Freiburgern bestehenden Ensemble einen Sonderapplaus für ihren Mut.
Pitt Herrmann
Friedrich Schiller
Maria Stuart
Schauspielhaus Bochum, Kammerspiele