"Combat" habe ich in Guatemala geschrieben, in einem kleinen Dorf, wo noch nicht mal Spanisch gesprochen wurde. Ich bin zwei Monate da gewesen. Wenn man nicht mehr seine eigene Sprache sprechen kann, verändert sich auch das Denken, kleine Begebenheiten, die ohne Sprache vor sich gehen, erhalten eine neue Bedeutsamkeit. Und was nun Afrika und mein Stück betrifft: Ich war an einem bestimmten Ort in Afrika, und ich habe herausgefunden, daß es ausreicht, diesen Ort zu beschreiben, um das auszudrücken, was er in mir ausgelöst hat. Was im Stück selbst passiert, sind Dinge, die ich in Paris ebenso gefunden habe. Es ist also keine Untersuchung über das Leben auf Baustellen in Afrika. All das kann auch in einer Sozialwohnung in Sarcelles (einem Pariser Vorort) geschehen. Der Ort "Afrika" ist gleichsam eine Metapher.
Bernard-Marie Koltes im Gespräch mit Michael Merschmeier, in: "Theater heute" 7/1983
Was also passiert in "Kampf des Negers und der Hunde", Roger Vontobels letzter Inszenierung der Intendanz Anselm Webers am Schauspielhaus Bochum, die am 19. Mai 2017 umjubelte Premiere in den Kammerspielen feierte? Mit dem 1981 am New Yorker La MaMa Theatre von Francoise Kourilsky urinszenierten Stück von Bernard-Marie Koltes hat Patrice Chereau zwei Jahre später seine Intendanz am Pariser Amandiers-Theater eröffnet - hochkarätig besetzt mit Michel Piccoli, Philippe Lotard und Myriam Boyer.
Und den Inhalt der zwanzig Szenen im Programmheft so beschrieben: "Ein schwarzer Arbeiter ist auf einer Baustelle getötet worden, sein Bruder kommt, um den Leichnam zu fordern, und keiner will ihn herausgeben. Wenn das Stück beginnt, hat sich diese Handlung bereits abgespielt, und während der ganzen Vorstellung wartet man gespannt auf eine sehr einfache Geste, die unter anderen Umständen banal wäre, hier aber unmöglich geworden ist. Angesichts dieser Situation haben die Personen, so scheint es, nur eine einzige Waffe: Sprache. Sie wollen sich mit Worten verteidigen, um jetzt, wo es zu spät ist, den Schuldbekenntnissen zu entgehen."
Der Neger, der seinen ermordeten Bruder Nouofia heimholen will in den Kreis der sich gegenseitig wärmenden Familie, in dem auch die Toten ihren konstituierenden Platz haben, heißt Alboury nach dem gleichnamigen König der Djolof, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet des heutigen Senegal der französischen Kolonisation widersetzte. Er ist bei Koltes eine antike Figur wie Antigone, die von König Kreon den Leichnam ihres Bruders fordert, um ihn der Tradition entsprechend bestatten zu können. Weshalb es nur konsequent erscheint, Alboury mit einer Schauspielerin zu besetzen: Jana Schulz, deren geweißtes Gesicht neben den ebenso behandelten Händen aus einem komplett schwarzen Outfit samt Mütze (Kostüme: Tina Kloempken) heraussticht, gibt ihrer Figur ein geradezu archaisches Gepräge.
Die Hunde sind zum einen der Baustellenleiter Horn, den ein grandios souveräner, dabei aber nie auftrumpfender Werner Wölbern als gescheiterte, aber insgeheim immer noch hoffende Existenz verkörpert - und das mit jeder Faser von Kopf bis Fuß: Ein trinkfester Aufsteiger, dem seine Herkunft aus dem Arbeitermilieu stets vor Augen geblieben ist. Und sich so einen Rest an Menschlichkeit bewahrt hat. Der hier am Ende der Welt Straßen baut, die ins Nichts führen, eigentlich aber von vierzigstöckigen Hochhäusern träumt zur Entflechtung der übervölkerten Megalopolis-Ghettos.
Als Sechzigjähriger ahnt Horn freilich, dass dies seine letzte Baustelle sein könnte, von der er sich mit einem großen Feuerwerk verabschiedet - in den immerhin finanziell gut abgesicherten Ruhestand. Den er an der Seite einer erheblich jüngeren Frau zu verbringen trachtet, die er zu besagtem Pyrotechnik-Zauber aus Paris nach Afrika gelockt hat und die keine Ansprüche an ihn stellt, weder finanzielle noch sexuelle oder gar intellektuelle.
Zweiter Hund ist der nur halb so alte Ingenieur Cal, dessen weitaus höhere fachliche Qualifikation nicht dazu geführt hat, Horn karrieremäßig hinter sich zu lassen. Was Gründe hat, die der 1974 in Wien geborene und seit drei Jahren vor allem in Frankfurt/Main glänzende Bochum-Debütant Max Mayer gleich bei seinem ersten Auftritt, in der vom Regisseur Vontobel an den Anfang seiner pausenlos zweistündigen Inszenierung gesetzten dritten Szene, offenbart: Cal ist ein versoffener, notgeiler Rassist, der die Enttäuschung über die berufliche Sackgasse, aus der er offenbar aus eigener Kraft nicht herauskommt, in Wut auf die Schwarzen kanalisiert. Nur weil der Tagelöhner Nouofia ihm vor die Füße gespuckt und damit seine Autorität als Vorgesetzter untergraben hat, musste er sterben.
Der auch in Bochum völlig zu recht gefeierte Max Mayer ist vor allem körperlich gefordert, was auch daran liegt, dass Vontobel die - inzwischen verschütteten - intellektuellen Seiten Cals als Philosophie-Fan und Henry-Miller-Leser eliminiert hat. Dafür darf er in Bochum um so effektvoller in der Scheiße der Kanal-Latrine wühlen bei der letztlich vergeblichen Suche nach dem dort von ihm versenkten Leichnam des Schwarzen. Denn Alboury besteht auf dem Körper des Bruders, will sich nicht mit einem Bündel Dollar-Scheine abspeisen lassen. Sodass am Ende auch der bisher so selbstsicher aufgetretene Horn die Nerven verliert und Cal dazu animiert, das Problem durch erneute Gewalt zu lösen...
Fehlt noch Leone, ein Zimmermädchen aus dem Hotel, in dem Horn zuletzt abgestiegen ist. Luana Velis, die es nun mit Anselm Weber an den Main zieht, ist viel zu jung, zu lebendig und zu attraktiv für die Rolle einer naiven Tochter einer Deutschen und eines Elsässers, die sich bewusst auf einen impotenten Sugardaddy einlässt, weil er es ihr ermöglicht, erstmals überhaupt Paris zu verlassen und Afrika, sei es auch nur auf einer Baustelle, als großes Abenteuer zu erleben. Wo sie sich sogleich zum exotischen Schwarzen hingezogen fühlt und sich, dies freilich nur in der Vorlage, mit den Scherben einer von ihr zerbrochenen Whiskyflasche Stammeszeichen ins Gesicht ritzt, welche denen Albourys gleichen.
Auch die (fremd-) sprachliche Seite Leones, die bei Koltes Deutsch spricht und im Dialog mit Alboury aus dem "Erlkönig" zitiert, ist dem Rotstift zum Opfer gefallen: Ein notwendiger Schritt für Roger Vontobels hochkonzentrierte, düster-dräuende Inszenierung, deren Schluss hier nicht vollständig verraten wird. Nur soviel: Cal wird nicht von den in Bochum nur akustisch wahrnehmbaren Wachtposten (die einmal mehr enorm wandlungsfähige Jana Schulz betätigt sich an der Seite des Live-Musikers Matthias Herrmann auch als Geräuschemacherin) erschossen und Leone macht sich vor ihrer Rückkehr nach Paris keine Gedanken um ihr Kleid. Alboury schließlich ist nicht im Gestrüpp des aus Schläuchen gebildeten Bühnen-Dschungels Fabian Wendlings verschwunden, ganz im Gegenteil...
Man könnte mit dem 1948 in Metz geborenen und bereits im Alter von 41 Jahren in einem Pariser Krankenhaus an Aids gestorbenen Bernard-Marie Koltes manches an Roger Vontobels Inszenierung kritisieren, vor allem eines, das Patrice Chereau in seinem Nachruf auf Koltes ("Theater heute" 6/89) herausstellte: "Er ertrug es nicht, daß man seine Stücke als düster oder verzweifelt oder als Stücke über Ausgestoßene bezeichnete. Er haßte die, die so dachten. Er hatte recht, auch wenn es manchmal im Augenblick leichter war, sie so zu inszenieren."
Hier und heute, wo Afrika nicht mehr nur um Almosen bittend an die Türen Europas klopft, sondern nach vertanen Jahrzehnten die Faxen postkolonialer Entwicklungshilfe dicke hat und sich auf den Weg übers Mittelmeer macht, ist es vielleicht immer noch leichter, in jedem Fall aber angebracht, "Combat" genau so unmittelbar, so wuchtig, so verstörend zu interpretieren wie Vontobel, der Bochum bereits in Richtung Landeshauptstadt verlassen hat. Nach Düsseldorf braucht der Regionalexpress aber nur 45 Minuten.
Pitt Herrmann
Bernard-Marie Koltes
Kampf des Negers und der Hunde (Combat de negre et de chiens)
Schauspielhaus Bochum, Kammerspiele